Jahresserie #40JahreAddF

#40JahreAddF

8. März 1984 – Internationaler Frauentag

Dieses Datum hatten die Initiatorinnen des Archivs der deutschen Frauenbewegung sehr bewusst für die Eröffnung gewählt. Denn sie hatten nicht weniger vor, als endlich einen Ort zu schaffen, an dem die Quellen zur #Frauenbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zusammengetragen werden sollten. Es galt, die Geschichte der vielen Vorkämpferinnen vor dem Vergessen zu bewahren, sie für gegenwärtige und zukünftige Kämpfe nutzbar zu machen. Wann, wenn nicht am Internationalen Frauentag, war der richtige Moment, mit diesem Vorhaben an die Öffentlichkeit zu treten?

Am 8. März 2024 kann das Archiv der deutschen Frauenbewegung auf 40 bewegte Jahre zurückblicken – auf Erfolge und Rückschläge, auf erfüllte und enttäuschte Hoffnungen, auf ergriffene und vertane Chancen, auf entschiedenen Gestaltungswillen und überbordende Bürokratie, auf die fragile Balance von selbstbestimmter und selbstausbeuterischer Arbeit, und auf viele, viele Diskussionen. Es war so aufregend wie anstrengend, so energiegeladen wie kräftezehrend, so schöpferisch wie erschöpfend. Nur langweilig war es nie. Und das Vorhaben wurde in einem Ausmaß realisiert, das sich anfangs wohl keine hatte vorstellen können.

Blickt in unserer Jahresserie #40JahreAddF gemeinsam mit uns zurück auf 40 #frauenbewegt|e Jahre - von der ersten Idee, ein Archiv für Frauengeschichte zu eröffnen, bis zu unseren aktuellen Projekten. 

#40JahreAddF

Der Anfang

„Es war einmal ein Aushang in einem Frauenbuchladen….“
Ein Anfang, der bei uns im AddF fast zu so etwas wie einem Mythos wurde und wie der Beginn eines Märchens klingt. Aber so hat sie eben angefangen, die Geschichte des AddF.

Was war passiert?
Sabine Hering arbeitete an der Gesamthochschule Kassel und hatte 1983 bei einem Plenum und der anschließenden Arbeit im nahegelegenen Archiv der Jugendbewegung festgestellt, dass ein Archiv, das zentral Dokumente zur deutschen Frauenbewegung aufbewahrte, nicht existierte.
Höchste Zeit, dies zu ändern.
Um Mitstreiterinnen zu finden, hängte sie für ein erstes Treffen einen Zettel im Aradia Frauenbuchladen in Kassel aus, mit dem sie ihr Vorhaben, ein Archiv der ersten Frauenbewegung zu gründen, in die Welt trug.
Unsere ehemalige Kollegin Gilla Dölle sah diesen und war überzeugt, dass sie sicherlich schon zu spät sei, denn ihrer Meinung nach müssten sich schnell mindestens 100 Frauen finden, die dieses Vorhaben unterstützen wollen.
Es kam aber anders; das erste Treffen bestritten die beiden zu zweit.
Funfact – der Verein „Archiv der deutschen Frauenbewegung e.V.“ war bereits gegründet, die ersten Frauen zur Mitarbeit kamen im Laufe des Jahres 1983 durch Kontakte und Mund-zu-Mund-Propaganda dazu.
Bis Ende des Jahres fand sich eine Gruppe von sieben Frauen, die sich an die Arbeit machten, um zu sammeln, zu forschen, zu schreiben und auf die Geschichte der Frauenbewegung aufmerksam zu machen. Ziel war, Verborgenes und Vergessenes auszugraben.
Die offizielle Eröffnung des Archivs der deutschen Frauenbewegung wurde in eigenen Räumen zum Internationalen Frauentag 1984 im Philippinenhöfer Weg 83 gefeiert.

Was die Frauen der ersten Stunden dazu bewegte, die Arbeit aufzunehmen und einen Ort wie das Archiv der deutschen Frauenbewegung zu erschaffen, erfahrt ihr in den nächsten Folgen von ihnen selbst.

#40JahreAddF

Der Anfang - Sabine Hering

Die Initiatorin des AddF steht heute im Mittelpunkt unseres ersten O-Tons: Sabine Hering.
Sie gründet Mitte Februar 1983 mit sechs Frauen den Verein „Archiv der deutschen Frauenbewegung“. Daraufhin werden Mitstreiterinnen für ihre Idee eines Sammlungs-, Forschungs- und Bildungsortes gesucht. Im Interview reflektiert sie den Reiz des Anfangs.

„Dann haben wir relativ schnell angefangen, uns Gedanken zu machen über die Aufgabenfelder als Archiv und Dokumentationszentrum, also diese Trias aus Sammeln, Bildungs- und Kulturarbeit und Forschen. Dann kam die Idee, die „Ariadne“ zu machen – damals glaub ich monatlich. . Nach heutigen Standards würde man natürlich fragen, was das denn war, aber für uns war es der Weg, uns überhaupt mit den Protagonistinnen vertraut zu machen. Wir waren damals ja in der Situation, wo man wusste, es gab Helene Lange und Clara Zetkin. Aber wen eigentlich noch? Wir hatten dann also die Möglichkeit nach anderen Frauen zu suchen und zu fragen: Was ist denn der Bund deutscher Frauenvereine? Wie war damals die Struktur? Was gab es schon alles, was wir alles gar nicht gewusst haben. Das war das Aufregende am Anfang, sich überhaupt klar zu machen: Was war damals Frauenbewegung, was haben die schon geschrieben und was haben die alles Wunderbares gemacht? Das war also die erste Zeit!"

Dr. Sabine Hering ist Sozialwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Geschichte, Initiatorin und Gründerin des AddF. Sie arbeitete von 1983 bis 1991 im AddF, vor allem im Bereich Forschung, ist Gründungstifterin und war von 2003 bis 2012 im Vorstand der „Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung“. Von 1993 bis 2012 war sie u.a. Professorin für Gender, Sozialpädagogik und Wohlfahrtsgeschichte, Direktorin des Kompetenzzentrums und Sprecherin des Zentrums für Gender Studies an der Universität Siegen. Heute ist sie vielfältig ehrenamtlich aktiv, baute als Beraterin das Digitale Deutsche Frauenarchiv mit auf und ist Sprecherin im Frauenpolitischen Rat im Land Brandenburg mit dem Schwerpunkt Frauen Orte. Das Interview mit ihr wurde im Oktober 2023 geführt.

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Der Anfang - Gilla Dölle

Gilla Dölle arbeitet in den frühen 80er Jahren im Frauenbuchladen Aradia, wo sie den Aushang von Sabine Hering sieht. Sie ist sofort Feuer und Flamme und die einzige Teilnehmerin des ersten Treffens des Archivs. Im Interview redet sie über die Anfänge des AddF und den Aufbau des Archivs.

„Wir wollten die Themen an die Frau bringen. Und das ging natürlich nicht, indem wir die irgendwelche Kästen stellen würden, wobei wir auch ehrlicherweise nicht viel Ideen hatten von einem Archiv. Wir haben die ersten Jahre dann letztendlich eher an dem Aufbau der Bibliothek gearbeitet und das Archiv kam dann sehr viel später in entsprechendem Umfang dazu. Für uns war von Anfang an klar: Es muss Veranstaltungen geben, wir müssen Öffentlichkeitsarbeit machen, wir wollen Projekte starten, wir wollen in der Forschung was machen und dafür brauchen wir diese Materialien. Die Erfahrung war, dass es über viele Bewegungen des 19. Jahrhunderts irgendwelche Orte gab, wo die Materialien lagen, aber der Befund war auch, dass es für die Frauenbewegung eben  keinen Ort gab. Und das hat uns natürlich tierisch gefuchst, so nach dem Motto: typisch, wie immer. Natürlich haben wir irgendwann auch verstanden, es gibt viele Gründe, warum es diese Materialien nicht gab - aber einer lag in der Missachtung von Frauen und Frauenthemen. Und das war natürlich unser Motor. Wir wollten immer - und das steht auch in der Satzung von Beginn an – dass es diese drei Säulen geben sollen, gedacht war, dass mit den Materialien gearbeitet werden soll. Und wir haben uns immer einen ganz lebendigen Ort vorgestellt.“

Dr. Gilla Dölle absolvierte ein Staatsexamen für Lehramt am Gymnasium, ist Buchhändlerin und Sozialwissenschaftlerin. 1983 war sie die erste, die Sabine Hering in ihrem Vorhaben unterstützte. Sie war die erste Mitarbeiterin des AddF und arbeitete bis zum Renteneintritt 2021 im Archiv - ganze 38 Jahre! Sie war zuständig für die Geschäftsführung und arbeitet heute noch ehrenamtlich weiter, u.a. im Vorstand des Fördervereins „Freundinnen des Archivs der deutschen Frauenbewegung e.V.“; zudem ist sie Zustifterin.
Das Interview mit ihr wurde in mehreren Teilen von August bis November 2023 geführt.

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Der Anfang - Cornelia Wenzel

Cornelia Wenzel kommt im Herbst 1983 zum Archiv der deutschen Frauenbewegung, eine Freundin hatte sie neugierig gemacht eines der Montagstreffen zu besuchen und sie blieb. Im Interview erklärt sie ihre Motivation und was ihr als Impuls wichtig war.

„Also am Anfang war es wirklich dieses Ausgraben, was Frauen in der Geschichte gemacht haben, was alles vergessen worden ist. Und was es alles gegeben hat, wovon wir nichts wussten. Wir hatten alle keine Ahnung, was ein Archiv ist. Wir wussten auch nicht, wie sich ein Archiv von einer Bibliothek unterscheidet, wir kamen alle fachlich nicht aus dieser Richtung, ich auch nicht. Das ist alles erst viel später gekommen. Am Anfang war die Faszination, wie total spannend das alles ist, was es schon gegeben hat und wer für was schon wann gekämpft hat und dass zum Beispiel der §218 schon in den 1920er Jahren ein Thema gewesen war.  Wir dachten, den Kampf dagegen haben wir gerade erfunden und dann war es alles schon da gewesen!
Wir hatten etwas entdeckt, was uns total begeisterte. Jeder Gedanke an Berufsaufstieg, Karriere oder sonst was war damals völlig zweitrangig. Wir haben ja alle irgendwo gejobbt. Also ich hatte auch mein Studium durch schon gejobbt, um irgendwie Geld zu verdienen. Und das ging einfach so weiter. Wir haben irgendwo unser Geld verdient zum Lebensunterhalt. Das Eigentliche, was wir gemacht haben, war aber das Archiv. Es gab schon die Hoffnung, irgendwann kriegen wir das auch mal bezahlt, aber erstmal waren wir mit allem Möglichen beschäftigt, um uns zu ernähren, so nebenbei, aber wir sind jeden Tag ins Archiv gestiefelt und haben dort unsere eigentliche Arbeit gemacht.“

Cornelia Wenzel, Schaufenstergestalterin, Sozialarbeiterin, Wissenschaftliche Dokumentarin, arbeitete von 1983 bis zum Renteneintritt 2019 im AddF und ist damit die erste Mitarbeiterin, die nach 36 (!) Jahren aus dem AddF heraus in Rente gegangen ist. Sie baute den Archivbereich auf und war mehr als zwei Jahrzehnte im  Leitungsteam tätig. Heute ist sie im Vorstand des „Archivs für alternatives Schrifttum Duisburg“ (afas) engagiert und arbeitet weiterhin freiberuflich für das AddF. Die Interviews mit ihr führte Elke Schüller im November 2023.

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ArchivOrte - Die Adressen des AddF

In der Zeit seines Bestehens hatte das Archiv der deutschen Frauenbewegung drei feststehende Adressen: den Philippinenhöfer Weg 83, Sommerweg 1B und die Gottschalkstraße 57.

Das erste Domizil des AddF bestand aus zwei Räumen im Nebengebäude der Schule Am Warteberg, einer Grundschule am Stadtrand, die die Stadt Kassel zur Verfügung gestellt hatte. Innerhalb weniger Jahre waren diese Raume im Philippinenhöfer Weg 83 zu klein geworden.
Der Lese- und Veranstaltungsraum wurde zum Magazin, Nutzerinnen saßen improvisiert an Tischchen zwischen den Regalen, Veranstaltungen mussten an anderen Orten stattfinden. Verhandlungen mit der Stadt Kassel um größere Raume waren langwierig und führten 1988 zum Umzug in drei Pavillons auf dem Schulhof der Unterneustädter Schule, die zentraler gelegen war.
Ein wirklich gut geeigneter Ort war aber auch dieser Standort im Sommerweg 1B nicht, was sich zum Beispiel am gelegentlich undichten Flachdach zeigte. Katastrophal für die Arbeit mit Papier und Kulturgut! Der Umzug dorthin und die Feier zum 5-jahrigen Bestehen des AddF standen deshalb unter dem Motto „Vom Provisorium zur Übergangslösung“.
Die Suche nach besser geeigneten Räumen ging nach kurzem Durchatmen weiter. Zum qualitativen Sprung wurde 1996 das Hinterhaus in der Gottschalkstraße 57, in dem die Büros bis heute sind. Es konnte sogar teilweise nach den Wünschen der Mitarbeiterinnen gestaltet werden und liegt mitten im Uni-Viertel - perfekt für Veranstaltungen, die Akquise von Nutzer:innen und guten Kaffee!
Im Laufe der Zeit vergrößerte sich das AddF noch um einen weiteren Büroraum im Vorderhaus, aber auch das hilft nicht auf Dauer, um den beengten Verhältnissen von Mensch und Material Abhilfe zu schaffen. Offenen Auges ist das AddF auf Raumsuche!
Denn, noch nicht mit eingerechnet in diese Adressen sind unsere Depotflächen, für die wir stetig neu Quadratmeter brauchen. Aber mehr dazu im nächsten Post.

#40JahreAddF

ArchivOrte - Raumnot in den Depots

Der größte Erfolg des AddF war und ist sicherlich der Sammlungsaufbau, der Bestand wuchs und wächst kontinuierlich. Wir dürfen uns weiterhin über Vor- und Nachlässe, Aktenbestände verschiedenster Organisationen und Institutionen freuen und nehmen auch ab und an allerhand Kurioses in unsere Bestände auf – man denke z.B. an Objekte wie die Schulglocke oder Gymnastikbälle der Gymnastikschule Schwarzerden. Doch wohin damit?
Bereits 2006 musste das erste Außenmagazin, eine ungenutzte Kegelbahn im Philipp-Scheidemann-Haus umgebaut und als Depotfläche umgenutzt werden. 2014 folgte ein weiteres Depot im Dachgeschoss des ehemaligen Polizeipräsidiums im Königstor Kassel, das wir übergangsweise bis 2024 anmieten konnten. Leider mussten wir in den letzten Tagen aus diesem Depot ausziehen und haben bisher nur eine Übergangslösung bis 2025 gefunden.
Die (fehlenden) Räume sind seit Jahren ein riesiges Problem unseres Archivs.
Denn das AddF beherbergt heute annähernd 1.000 Regalmeter Archivgut, also Nachlässe von Frauen und Frauenorganisationen, und etwa 12.000 Fotos, dazu fast 40.000 Bücher und mehr als 2.600 Zeitschriftentitel.
Es wächst weiter, denn erfreulicherweise wird es von immer mehr #frauenbewegten Akteurinnen und Frauenorganisationen als sicherer Ort für ihre Unterlagen in Anspruch genommen.
Die Suche nach dem optimalen Standort dauert an, alle Mitarbeiterinnen und Förder:innen bemühen sich, sie nicht zu einer unendlichen Geschichte werden zu lassen.

Archiv der deutschen Frauenbewegung
Gottschalkstraße 57
D - 34127 Kassel
Tel.: +49 (0)561-989 36 70
Fax: +49 (0)561-989 36 72
E-Mail: info@addf-kassel.de

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Donnerstag
11-17 Uhr und nach Vereinbarung

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